Bedeutung der primären Prävention für die psychische Gesundheit
Psychische Gesundheit ist ein zentrales Fundament für individuelle Lebensqualität, gesellschaftliche Teilhabe und wirtschaftliche Produktivität. Während die Behandlung und Nachsorge psychischer Störungen in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend professionalisiert und ausgebaut wurden, bleibt der präventive Ansatz im psychosozialen Bereich weiterhin unterrepräsentiert.
Insbesondere die primäre Prävention – also Maßnahmen, die darauf abzielen, psychische Erkrankungen und psychosoziale Belastungen schon im Vorfeld zu verhindern – steht selten im Mittelpunkt der öffentlichen und fachlichen Diskussion.
Dabei zeigen aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse, dass gerade in der frühzeitigen, ressourcenorientierten Unterstützung erhebliche Potenziale für die nachhaltige Förderung psychischer Gesundheit liegen (Beelmann & Lösel, 2020; WHO, 2022).
Was versteht man unter primärer Prävention?
Primäre Prävention im psychosozialen Kontext bedeutet, Risiken möglichst gar nicht erst entstehen zu lassen. Sie setzt an den individuellen und sozialen Ressourcen der Menschen an, fördert Schutzfaktoren und stärkt Kompetenzen, bevor Belastungen zu manifesten Problemen werden.
Zentrale Elemente sind die Früherkennung und Sensibilisierung für psychosoziale Herausforderungen, die Stärkung von Resilienz, Selbstwirksamkeit und Selbstfürsorge, die Förderung sozialer Kompetenzen und Konfliktfähigkeit sowie die gezielte Unterstützung in Übergangs- und Belastungssituationen.
Ziel ist es, psychische Gesundheit in allen Lebensphasen und Lebensbereichen zu erhalten und zu stärken (Rutter, 2012; BZgA, 2023).
Die Rolle der psychologischen Beratung in der primären Prävention
Psychologische Beratung kann hier einen entscheidenden Beitrag leisten.
Sie ist – wissenschaftlich fundiert und methodisch vielfältig – in der Lage, Menschen aller Altersgruppen und Lebenslagen frühzeitig zu begleiten und zu unterstützen.
Besonders profitieren Zielgruppen, die sich in Übergangsphasen oder besonderen Belastungssituationen befinden: Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene etwa, die durch die Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen und die Unterstützung beim Übergang von Schule zu Ausbildung oder Beruf vor Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten geschützt werden können (Beelmann & Lösel, 2020). Familien und Eltern stehen im Fokus, wenn es um die Stärkung von Erziehungskompetenz, die Prävention familiärer Konflikte und die Begleitung in Trennungs- oder Umbruchsituationen geht. Auch Paare profitieren von präventiver Beratung, etwa durch die Förderung gelingender Kommunikation und die frühzeitige Konfliktprävention.
Zielgruppen der primärpräventiven psychologischen Beratung
Erwachsene in belastenden Lebensphasen, wie bei beruflichen Veränderungen, Arbeitslosigkeit oder Überlastung, erhalten durch präventive psychologische Beratung wertvolle Unterstützung – ebenso wie Menschen, die Lebensübergänge wie Wechseljahre, Elternschaft oder Ruhestand erleben. Angehörige von Menschen mit chronischer Erkrankung oder Pflegebedarf sind eine weitere wichtige Zielgruppe:
Hier kann die Beratung helfen, Überforderung, Isolation und psychische Belastung zu verhindern. Nicht zuletzt kommt der primären Prävention auch im höheren Lebensalter eine große Bedeutung zu, wenn es um den Erhalt von Lebensqualität und sozialer Teilhabe sowie die Prävention von Einsamkeit und Depression geht.
Betriebe und Organisationen schließlich können durch präventive Beratungs- und Schulungsangebote die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz fördern und so nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch die Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeitenden stärken (OECD, 2021).
Wissenschaftliche Evidenz und Methoden
Die Wirksamkeit primärpräventiver Maßnahmen in der psychologischen Beratung ist durch zahlreiche Studien und Metaanalysen belegt. Programme zur Förderung sozialer und emotionaler Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen reduzieren nachweislich die Inzidenz psychischer Störungen. Beratungsangebote, die auf die Stärkung von Resilienz und Selbstfürsorge abzielen, wirken vorbeugend gegen Depressionen, Angststörungen und psychosomatische Beschwerden. Präventive Unterstützung für Familien, Paare und Angehörige verbessert nachweislich die psychische Gesundheit und das Miteinander (Cuijpers et al., 2012; WHO, 2022). In der Praxis kommen dabei systemische und lösungsorientierte Ansätze ebenso zum Einsatz wie klientenzentrierte und emotionsfokussierte Verfahren, Kommunikationstrainings und ressourcenorientierte Beratungssettings (Greenberg, 2015; Rogers, 2009; Satir, 2015).
Herausforderungen und gesellschaftlicher Handlungsbedarf
Trotz dieser Evidenz ist die primäre Prävention im psychosozialen Bereich bislang nicht flächendeckend etabliert. Zugangsbarrieren, mangelnde Finanzierung
und eine nach wie vor bestehende gesellschaftliche Stigmatisierung psychologischer Beratung erschweren die Umsetzung (DGPG, 2022; OECD, 2021). Es bedarf eines gesellschaftlichen und politischen Umdenkens, um die Potenziale primärpräventiver Beratung für alle Zielgruppen nutzbar zu machen.
Qualitätssicherung, Professionalisierung und die Integration in bestehende Präventionsstrukturen sind dabei zentrale Aufgaben, denen sich auch der Berufsverband VpsyB e.V. verschrieben hat.
Resümee
Primäre Prävention ist der Schlüssel zur nachhaltigen Förderung psychischer Gesundheit. Psychologische Beratung kann durch frühzeitige, ressourcenorientierte Unterstützung dazu beitragen, psychische Erkrankungen und soziale Konflikte zu verhindern und die Lebensqualität in allen Lebensphasen zu erhalten. Die breite Ausrichtung auf unterschiedliche Zielgruppen und die wissenschaftliche Fundierung machen sie zu einem unverzichtbaren Baustein
Literatur
- Beelmann, A. & Lösel, F. (2020). Prävention von psychischen Störungen: Wirksamkeit und Herausforderungen. Prävention und Gesundheitsförderung, 15(2), 91–100.
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). (2023). Psychische Gesundheit stärken – Prävention und Gesundheitsförderung.
- Cuijpers, P., et al. (2012). Prevention of depression and anxiety: A meta-analytic review. International Journal of Psychiatry in Medicine, 43(2), 97–115.
- Deutsche Gesellschaft für Prävention und Gesundheitsförderung (DGPG). (2022). Prävention psychischer Erkrankungen.
- Greenberg, L. S. (2015). Emotionsfokussierte Therapie: Praxis und Anwendung. Springer.
- OECD. (2021). Mental Health and Work: Germany.
- Rogers, C. R. (2009). Klientenzentrierte Gesprächsführung. Reinhardt Verlag.
- Rutter, M. (2012). Resilience as a dynamic concept. Development and Psychopathology, 24(2), 335–344.
- Satir, V. (2015). Familientherapie: Praxis und Perspektiven. Klett-Cotta.
- WHO. (2022). World Mental Health Report.